Wofür Künstliche Intelligenz in Schulen eingesetzt wirdProf. Dr. Ulrike Cress schreibt im Gastbeitrag darüber, wie Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler von einem kollaborativen Einsatz Künstlicher Intelligenz profitieren können

Prof. Dr. Ulrike Cress

Ulrike Cress ist Professorin an der Universität Tübingen und leitet seit 2017 das Leibniz-Institut für Wissensmedien (IWM) in Tübingen. Die außeruniversitäre Forschungseinrichtung beschäftigt sich< mit der Frage, wie digitale Technologien Wissensprozesse unterstützen oder verändern können. Das IWM betreibt unter anderem das Tübinger Digital Teaching Lab (TüDiLab), um Lehrkräfte für die Nutzung digitaler Technologien im Klassenzimmer auszubilden, den Future Innovation Space, um das Potential neuester Technologien für ihre zukünftige Nutzung für Lehr-Lern-Prozesse zu untersuchen, oder ein Forschungsnetzwerk, um das Potential von Sprachagenten in unterschiedlichen Anwendungsgebieten zu untersuchen. Außerdem ist Ulrike Cress Mitglied der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz (SWK) und hat dort maßgeblich am Gutachten zur Digitalisierung mitgearbeitet.

In der heutigen digitalen Welt gewinnt Künstliche Intelligenz (KI) zunehmend an Bedeutung, insbesondere im Bildungsbereich. Diese Ausgabe widmet sich dem Leitthema „Potential nutzen – KI als optimales Hilfsmittel im Unterricht“. Prof. Dr. Ulrike Cress beleuchtet in ihrem Gastbeitrag, wie KI nicht nur als innovatives Werkzeug für Lehrkräfte, sondern auch als wertvoller Partner für Schülerinnen und Schüler fungieren kann. Durch den kollaborativen Einsatz von KI eröffnen sich neue Möglichkeiten für individualisiertes Lernen, die Förderung kreativer Denkprozesse und die Verbesserung der Unterrichtsqualität. In einer Zeit, in der Technologien unseren Alltag prägen, ist es entscheidend, das Potenzial von KI im Bildungswesen zu erkennen und zu nutzen. Lassen Sie sich von den zahlreichen Chancen inspirieren, die Künstliche Intelligenz für die Zukunft des Lernens bereithält!

Im Jahr 2021 hat die Deutsche Telekom-Stiftung eine Studie zum Thema „KI@Bildung: Lehren und Lernen in der Schule mit Werkzeugen Künstlicher Intelligenz“ in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass im< Bildungsbereich unterschiedliche KI-Technologien zum Einsatz kommen. „Intelligente Tutorielle Systeme“ (ITS) werden beispielsweise bereits seit den 1980er Jahren entwickelt und genutzt. Dabei führt eine Software die Lernenden durch den Lehrstoff. Ferner stellt das tutorielle System den Schülerinnen und Schülern kontinuierlich Fragen, deren Beantwortung den weiteren Kursablauf bestimmt. Diese Systeme basieren auf der formalen Beschreibung von Wissensinhalten und Instruktionen. Welches Wissen Lernende erworben haben müssen, um die nächste Ebene des Verstehens zu erreichen, muss sich daher aus der Theorie ableiten lassen.

Eine neuere Entwicklung sind adaptive Lern- und Empfehlungssysteme. Diese basieren weniger auf theoretischen< Modellen zu Wissen und Instruktion. Stattdessen nutzen sie große Mengen an Nutzerdaten und identifizieren typische Lernmuster und passende Lernwege. Sie sind in der Entwicklung damit weniger aufwändig. Wie tutorielle Systeme ermöglichen sie, Lernen adaptiv und individuell zu gestalten, indem sie kontinuierlich den Wissensstand der Lernenden messen und ihnen Inhalte und Aufgaben präsentieren, die diesem Wissensstand entsprechen. Im Optimalfall können sie dabei nicht nur Lernwege auswählen, sondern auch inhaltliche Hinweise zu Lösungsmöglichkeiten und individuelles Feedback liefern. Entsprechend eignen sich Lern- und Empfehlungssysteme besonders, um bestehende Ungleichheiten in heterogenen Lerngruppen zu reduzieren.
Darüber hinaus zählt auch die automatische Sprachverarbeitung zu den KI-Anwendungsbereichen im schulischen Kontext. Neuere Entwicklungen in diesem Bereich befähigen Lerntechnologien, Text und Sprache zu „verstehen“, sodass Dialoge mit Lernenden möglich sind. Zudem ist KI die Basis von „Learning Analytics“. Hierbei werden aus den digitalen Spuren von Lernenden – zum Beispiel ihrem Verhalten in einem Lernmanagementsystem – Vorhersagen zu ihrem Lernergebnis abgeleitet.

Welche Vorteile KI für Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte und Schulleitungen bietet

Die unterschiedlichen Anwendungsmöglichkeiten für KITechnologien im Bildungsbereich machen bereits deutlich, dass Künstliche Intelligent sämtliche schulischen Handlungsfelder durchdringt. Ihr Potenzial lässt sich daher nicht auf einen Nenner bringen, sondern unterscheidet sich je nach Anwenderin und Anwender.
Für Schülerinnen und Schüler besteht der größte Vorteil darin, dass KI-Anwendungen sie dabei unterstützen können, selbstgesteuert zu lernen. Sowohl zum Üben und Trainieren als auch zum Testen und zur Selbstevaluation können Lernende sie produktiv einsetzen.
Lehrkräfte kann die Künstliche Intelligenz bei der Klassenorganisation unterstützen, indem sie beispielswiese den Wissensstand der Schülerinnen und Schüler individuell diagnostiziert und passende Förderangebote macht. Darüber hinaus kann KI die Basis für Beratung und Prognose legen und damit auch die Elternarbeit erleichtern.
Im Bereich Schulmanagement können KI-Anwendungen bei Planungs- und Evaluierungsprozessen eingesetzt werden. Damit lässt sich zum Beispiel die Schulplanung inklusive Vertretungsstunden, Personalressourcen und Raumvergabe effizient gestalten.

Welche Vorteile KI für Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte und Schulleitungen bietet

Die unterschiedlichen Anwendungsmöglichkeiten für KITechnologien im Bildungsbereich machen bereits deutlich, dass Künstliche Intelligent sämtliche schulischen Handlungsfelder durchdringt. Ihr Potenzial lässt sich daher nicht auf einen Nenner bringen, sondern unterscheidet sich je nach Anwenderin und Anwender.

Warum das Potential von KI-Anwendungen in der Schulpraxis unzureichend genutzt wird

Eine Marktanalyse der eingangs erwähnten Studie zeigt, dass diese Potentiale für die Schulpraxis bisher nicht ausgeschöpft werden. Von 99 recherchierten KI-Anwendungen weltweit werden nur wenige im Bereich der Schulorganisation angeboten. Etwa die Hälfte der Anwendungen unterstützen das Selbstlernen und richten sich damit hauptsächlich auf den „Nachmittagsmarkt“, also den Bereich der Nachhilfe. Dabei dominieren Anwendungen, die regelbasiert sind und das Lernen in Mathematik, den Mint-Fächern oder beim Fremdsprachenerwerb unterstützen. Technologien, die ein gedankliches Durchdringen der Inhalte erfordern, das Suchen nach Zusammenhängen sowie die Konstruktion von eigenen Erkenntnissen und ergebnisoffene Aufgabentypen werden durch KI derzeit noch kaum unterstützt.

„Das Bildungssystem steht vor der
Herausforderung, KI-Tools als
Wissenswerkzeuge kennenzulernen
und entsprechend zu nutzen.“
Prof. Dr. Ulrike Cress
Neue Anstöße durch ChatGPT

Im November 2022 hat sich mit der Veröffentlichung von ChatGPT allerdings mit einem Schlag gezeigt, welches Potenzial KI auch für komplexe Aufgaben bereithält. Dabei wurde ChatGPT nicht einmal gezielt zum Lernen und Lehren entwickelt. Der Chatbot ist Bestandteil unserer Lebensumwelt, die in die Schule hineinragt und Wissensprozesse sowohl bei Schülerinnen und Schülern als auch bei Lehrkräften verändern wird. Dabei geht es nicht primär darum, dass ChatGPT Schreibprozesse ersetzen wird und damit Täuschungsmittel bei Hausaufgaben sein könnte. Vielmehr steht das Bildungssystem vor der Herausforderung, KI-Tools als Wissenswerkzeuge kennenzulernen und entsprechend zu nutzen. Lehrkräfte müssen [also] lernen, mit Künstlicher Intelligenz zusammenzuarbeiten.

Wie KI die Bildung verändern wird

In der schulischen Bildung wird es darum gehen, Schülerinnen und Schüler auf die Zusammenarbeit von Mensch< und digitalen Tools vorzubereiten. Lernende müssen wissen, was solche Tools können und was ihre Schwächen sind. Sie müssen ihre Funktionsweise durchschauen, um die Tools angemessen nutzen zu können. Das geht über eine klassische Medienbildung oder Medienkompetenz hinaus. Schülerinnen und Schüler benötigen die Fähigkeit, gemeinsam mit KI-Tools Wissen zu konstruieren – das heißt nach Informationen zu suchen, sie zu reflektieren, gemeinsam Texte zu schreiben und die Prozesse optimal zu verteilen. Im Bildungsbereich kann es nicht darum gehen, dass Schülerinnen und Schüler Lern- und Wissensprozesse auslagern. Es soll vielmehr darum gehen, diese so zu organisieren, dass Mensch und KI ein Team bilden, und Schülerinnen und Schüler durch Verstehen und Wissenserwerb von dieser Zusammenarbeit profitieren.
Diese Teamarbeit gilt jedoch nicht nur für Lernende. Auch Lehrkräfte müssen lernen, mit Künstlicher Intelligenz zusammenzuarbeiten. KI allein wird keinen Unterricht stemmen. Denn Unterricht ist mehr als Adaptivität: Es ist mehr als Üben, die richtigen Aufgaben zur richtigen Zeit zu stellen und Feedback zu geben. Unterricht ist eine soziale Aktivität. Sie lebt vom Dialog, der Kollaboration und dem gemeinsamen Entdecken und Erarbeiten von Wissen. Aber KI kann im Lehr-Lern-Prozess wichtige Aufgaben übernehmen, vor allem beim Üben und in der Rückmeldung des Lernstandes, und Lehrkräfte auf diese Weise unterstützen. Aufgabe von Forschung und Praxis ist es nun, Unterrichtsmodelle zu entwickeln, die Künstlicher Intelligenz und Mensch sinnvolle und sich ergänzende Funktionen zuweisen. Co-Teaching von KI und Lehrkraft oder KI-assisted Learning können neue Leitbilder eines zukünftigen Unterrichtskonzepts sein.

Zur Zweitverwertung: www.campus-schulmanagement.de. Fotos: Freepik: 97kasunifernando, zinkevych