Constanze Knöchel im Interview

logo! seit dem 9. Januar 1989 sendet das ZDF die Kindernachrichtensendung, mittlerweile im Kinderkanal KiKa. Unter der Prämisse „leicht verständlich für Kinder“ berichtet das Moderations- und Reporterteam täglich aus aller Welt: Aktuelles aus Politik, Gesellschaft, Natur und Umwelt speziell für Kinder aufbereitet. Das Format wurde bereits mit vielen Preisen ausgezeichnet, darunter der Deutsche Fernsehpreis und der Sonderpreis des Hanns-Joachim-Friedrichs-Preises für Fernsehjournalismus für "Journalistische Aufklärung im besten Sinne, klar, nicht kalt, von der auch Erwachsene profitieren". Im Interview erzählt das Team von seiner täglichen Arbeit mit Ton, Bild und Sprache.

 

Redaktionsleitung logo!-nachrichten constanze Knöchel

Fragen an: Constanze Knöchel,

Leitung Bereich Nonfiktion in der ZDF-Hauptredaktion Kinder und Jugend

Zum Bereich Nonfiktion gehören die Regelformate „logo!“, „PUR+“, „1, 2 oder 3“, „Dein Song“, „Checkpoint“, „Die Jungs-WG/Die Mädchen-WG“, „stark!“ und „SingAlarm“ sowie wechselnde Formate wie zum Beispiel „Digiclash“ und „Brudi“ (bei funk).

1. Wie wichtig sind aktuelle Nachrichten für Kinder?

Wir glauben, dass es für unsere Zielgruppe (8-12 Jahre) sehr wichtig ist, Nachrichten kindgerecht erklärt zu bekommen. Gerade und besonders in Zeiten, in denen Kinder schon viel von Dingen mitbekommen, die um sie herum passieren – zum Beispiel über Social Media. Es ist daher ein Zeichen von „Ernstnehmen“. Im Sinne von: „Wir nehmen euch ernst und erklären euch Nachrichten kindergerecht.“ 35 Jahre logo!-Erfahrung zeigt, dass ängstliches Verschweigen eher emotional unsicher macht. Wenn Kinder einordnen können, was um sie herum geschieht, macht es sie emotional sicherer. Es ist daher wichtig und richtig, dass es Nachrichten für Kinder gibt.

2. Nach welchen Kriterien wählen sie Nachrichten und informationen für Kinder aus?

Wir haben jeden Mittag eine Redaktionssitzung. Da werden alle Themen aus der aktuellen Nachrichtenwelt, aber auch aus der aktuellen Lebenswelt der Kinder, zusammengetragen. Und dann diskutieren wir. Die Nachrichtenfaktoren sind klar. Wir fragen uns dabei zusätzlich aber immer – auch bei politischen Themen: Hat es Bezug zur Lebenswelt der Kinder? Warum sollten oder müssen Kinder das heute wissen? Oder müssen sie es wissen, weil sie es mitbekom-men? Können wir es aus einer Perspektive beleuchten, die an die Lebenswelt der Kinder andockt? Wir wählen immer fünf bis sechs Themen aus, die eine richtige Mischung für die Kinder ergeben. Wir nehmen beispielsweise nicht sechs hard-news-Themen, also schwierige Themen, in die Sendung. Das erste Thema, also der Aufmacher, ist oft aus der aktuellen Nachrichtenwelt oder ein aktuelles Thema aus der Kinderlebenswelt. Danach werden wir weicher, softer, positiver in den Meldungen. In den Sitzungen überlegen wir viel: Was beschäftigt Kinder? Was bekommen sie mit? Was interessiert sie? Gleichzeitig achten wir auf die richtige Themenmischung.

Unsere Regeln sind immer ähnlich: Einfache Sätze, keine Fremdwörter, immer nur ein Thema im Beitrag. Trotzdem wird es manchmal zu kindlich für Zwölfjährige, manchmal zu schwierig für Achtjährige.
Constanze Knöchel
3. Gibt es rote Linien / Themen, die sie ausschließen?

Wir klammern nichts aus. Wenn es Themen gibt, die in den Nachrichten vorkommen, dann reden wir darüber. Außer Boulevard, das machen wir nur selten. Sollte eine Meldung schlimm und erschreckend sein, versuchen wir zumindest darüber zu reden. Wie beispielsweise der Mord der beiden Mädchen an ihrer Freundin letztes Jahr. Das war eine schlimme Meldung und auf Social Media wie Tik Tok ein Riesen-Thema. Trotzdem war uns in der Sitzung klar, dass wir keine Nachricht über den grauenvollen Tathergang machen können. Wir haben uns dann entschieden, es als Anlass für die Anmoderation zu nehmen und haben Jugendstrafrecht erklärt. Solche Nachrichten aufzunehmen ist ja auch ein Zeichen an die Zuschauerinnen und Zuschauer: Wir nehmen euch ernst. Es wäre auch nicht richtig, Themen, die Kinder mitbekommen, abends in logo! auszuklammern. Zumal Kinder die Dinge auch über andere Kanäle mitbekommen, dann aber teilweise ungefiltert und ohne Erklärung. Oder beispielsweise Butscha in der Ukraine: Die Bilder waren schrecklich, das Thema sehr präsent. Derartige Bilder zeigen wir natürlich nicht in einem Beitrag. Wir haben dann allgemein das Thema Kriegsverbrechen erklärt. Bei ganz schlimmen Themen versuchen wir einen anderen „Dreh“, einen anderen Aufhänger hinzubekommen. Aber wir klammern nichts aus.

4. Wie können sie sprachlich führen, abfedern?

Wir beleuchten einerseits gegebenenfalls andere Aspekte bestimmter Nachrichtenthemen, andererseits dramatisieren wir nicht in unseren Texten, verwenden wenige Adjektive wie „schlimm“, „grauenvoll“, „schrecklich“. Bei schweren Themen emotionalisieren wir möglichst wenig, bleiben sachlich.

5. Wie schaffen Sie es, Kindern unterschiedlichen Alters komplexe Themen nahezubringen?

Unsere Zielgruppe ist sehr heterogen. Ein achtjähriges Kind ist auf einem ganz anderen Wissensstand als ein zwölfjähriges Kind oder auch, was die Auffassungsgabe betrifft. Das ist bei uns immer ein Thema – im Grunde, seit es logo! gibt. Wir haben die Herausforderung, die richtige Ansprache zu finden. Zusätzlich sind Kinder sehr unterschiedlich. Ein Achtjähriger kann bereit sein für logo!-, ein anderer ist von den Nachrichten überfordert. Da liegt auch Verantwortung bei den Eltern, ob ihre Kinder schon Nachrichten sehen können und sollen oder nicht. Und zurück zur Ansprache: Unsere Regeln sind immer ähnlich: Einfache Sätze, keine Fremdwörter (bzw. wir erklären ein Fremdwort), immer nur ein Thema im Beitrag (nur eine Kinderfrage, die wir beantworten). Trotzdem wird es manchmal zu kindlich für Zwölfjährige, manchmal zu schwierig für Achtjährige. Aber wir versuchen immer einen Kompromiss, die Mitte zu finden.

6. Wie ergänzen oder behindern sich Wort und Bild, Bild und Ton/Sprache? Verbale und nonverbale Signale?

Erst mal strukturell zur Dramaturgie: Wir beantworten immer eine Kinderfrage, auf die wir uns einigen. Und wir setzen kein Wissen voraus. Eine Nachricht soll in einfachen Sätzen formuliert sein. Jeder aktuelle Beitrag ist dabei etwa ein bis zwei Minuten lang. Bei der Bildauswahl achten wir darauf keine schlimmen, verstörenden Bilder zu verwenden. Gleichzeitig haben wir keine schnelle Schnittabfolge, die Dinge dramatisieren und verwirrender macht. Zudem verwenden wir oft Grafiken oder Stills, also Bilder, Fotos – kein Bewegtmaterial, um die Nachricht langsamer erzählen zu können.

7. Wie sind digitale Medien und sprachliche Bildung miteinander verknüpft?

Lesen, Schreiben und Rechnen sind die Basiskompetenzen, die jedes Kind beherrschen sollte. Mir ist es ein wichtiges Anliegen, dass wir an unseren Schulen auch wieder die Freiräume schaffen, dass sich unsere Lehrkräfte gerade in der Grundschule auch wieder stärker auf diese ganz zentralen Kernelemente des Unterrichts konzentrieren können. Dabei ist die Leseförderung beispielsweise nicht allein Sache des Deutschunterrichts, hier müssen wir alle Fächer mit einbinden, beispielsweise in der Grundschule durch geeignete Sachtexte im Fach HSU. Bestehende, gut funktionierende Maßnahmen wie beispielsweise das Lesetraining FiLBY werden wir weiter ausbauen und wo immer möglich und sinnvoll auch neue Unterstützungsprogramme für unsere Lehrkräfte einführen und etablieren.

Zu Beginn des Ukrainekrieges haben wir mehr als 2.000 Fragen von Kindern erhalten.
8. In Bayern wird an Schulen die sogenannte Verfassungsviertelstunde eingeführt. Welche Themen würden Sie dafür schwerpunktartig auswählen?

Ich würde ganz pragmatisch vorschlagen, jeden Tag zehn Minuten logo! anzuschauen. Kindernachrichten mit politischen und aktuellen Themen zu gucken fördert das Demokratieverständnis und deckt auch den Auftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ab, sich eine eigene Meinung bilden zu können, das gilt auch für Kinder.

9. Welche Themen interessieren Kinder Ihrer Erfahrung nach am meisten?

Grundsätzlich interessieren sich acht-, neun- oder zehnjährige Kinder erst mal nicht sehr für Politik. Da bekommen wir Mails von Kindern, die sich Informationen über Tiere, Sport oder zum Naturschutz wünschen. In Kriegs und Krisenzeiten ist das anders, da haben Kinder auch viele Fragen zu aktuellen Geschehnissen. Zu Beginn des Ukrainekrieges haben wir mehr als 2.000 Fragen von Kindern erhalten. Wir versuchen immer eine gute Themenmischung hinzubekommen, dass sich möglichst viele Kinder angesprochen fühlen. Grundsätzlich haben Jungen und Mädchen dann oft auch unterschiedliche Interessen. Vieles ist interessant, was sich im Alltag der Kinder abspielt: Freundschaften, Spielen, Basteln, Zocken, Sport, YouTube.

Wir versuchen den Ansatz „Wie können wir eine Nachricht so erklären, dass Kinder sich für sie interessieren und sie verstehen können?“. Ein schönes Beispiel hierfür ist die Haushaltsdebatte im Bundestag letztes Jahr: Das ist kein Thema für Kinder. Die Reporterin hat sich für einen sehr nahen Beitrag entschieden. Sie hat erst mal aufgegriffen,
was Kinder rein sprachlich wahrscheinlich unter „Haushalt“ verstehen. Dann hat sie den Bundeshaushalt mit Grafiken erklärt, war dann auch vor Ort bei der Debatte im Bundestag. Wir haben ziemlich kreativ aufgearbeitet, um ein doch sehr trockenes Thema zu erklären.

10. Wie schaffen Sie es, Kinder auf unterschiedlichem sprachlichen Niveau (Thema Migration) abzuholen und einzubinden?

Wir versuchen, durch einfache Sprache Inhalte zu vermitteln. Wir möchten alle Kinder erreichen, einmal die, die uns aus Eigenmotivation schauen aber, auch die, die sich eigentlich gar nicht so für Nachrichten interessieren. Kinder aus bildungsfernen Haushalten oder mit Migrationshintergrund kennen uns teilweise gar nicht. Deshalb ist es unser Ziel, dass wir diese auch erreichen zum Beispiel auch dadurch, dass wir an Schulen präsenter werden. logo! gibt’s übrigens auch mit Untertiteln (und Gebärde), was bei der Spracherlernung helfen kann.

Auch aus dem Ausland bekommen wir manchmal die Rückmeldung, dass Klassen logo! ansehen, um Deutsch zu lernen. Mit logo! ist das viel einfacher, als mit Nachrichten für Erwachsene. (Das wurde ja oben schon erwähnt und gibt’s bei den Erwachsenen auch.)

11. Haben Sie Ideen, wie man Sprache und Ausdruck fördern könnte?

Da können die erwähnten Untertitel helfen, die über VoD (Video on Demand) in der Mediathek abrufbar sind. Sie fördern einerseits das Lesen und helfen andererseits, Sprache zu verstehen.

12. Sie beschäftigen sich seit vielen Jahren mit Nachrichten – bemerken Sie eine Veränderung der Sprache?

Mir fällt auf, dass in den Medien viel mehr Zeit dafür aufgewendet wird, Dinge zu erklären, auch zum Beispiel bei der ZDF-heute-Sendung oder im heute journal: Erklärgrafiken, Erklärvideos. Das gab es früher bei Nachrichten für Erwachsene weniger, finde ich. Nachrichten sollen schließlich alle verstehen, nicht nur die, die schon viel Vorwissen mitbringen. „Framing“ vermeiden bei Begrifflichkeiten ist auch ein wichtiges Thema in der Nachrichtensprache. So ist man bei der Verwendung von Wörtern wie „Flüchtlingswelle“ oder „Naturgewalten“ insgesamt sicherlich sensibler geworden. Für logo! war das weniger Thema, weil wir in unseren Beiträgen versuchen, nicht zu dramatisieren oder zu überspitzen.