Bildung – Kreativ gestaltenGedanken von Pater Beschorner SJ, Geistlicher Beirat der KEG Deutschlands

Die Aussage: „Ich bin fast 18 und hab keine Ahnung von Steuern, Miete oder Versicherungen. Aber ich kann ‚ne Gedichtanalyse schreiben. In vier Sprachen“ schrieb 2015 die Oberschülerin Naina aus Köln auf ihrem Twitter-Account. Aber mich beschäftigt sie. Was ist los mit der Institution Schule? Was ist noch Bildung und welche Menschenbilder werden da gezeichnet? Wenn Schulen ein christliches Menschenbild vermitteln wollen, sollte der ganze Mensch im Mittelpunkt stehen und das vor allem mit seiner Würde!

Was meint diese Würde? Im 1. Buch der Bibel, in Genesis 1,26f steht: „Dann sprach Gott: Lasst uns Menschen machen als unser Bild, uns ähnlich!“… „Gott erschuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes erschuf er ihn. Männlich und weiblich erschuf er sie.“ Es ist ein Schöpfungsbericht, der unsere Gottesebenbildlichkeit beschreibt, an die wir glauben dürfen. Wie soll sonst ausgedrückt werden, wie wertvoll und einmalig jeder Mensch ist. Christlich wird unser Menschenbild als z.B. ein Schriftgelehrter Jesus in Markus 12,28ff danach fragt, welches das wichtigste Gebot sei und er mit dem „Schma Jisrael“, dem „Höre Israel“ antwortet: Gott ist der einzige Herr und Ihn sollst du lieben mit allem, was dich betrifft! Und: Liebe den anderen Menschen wie dich selbst! Da greift Jesus direkt auf die Tora, das jüdische Gesetzbuch (Dtn 6,4-9) zurück. Unser christliches Menschenbild greift also direkt auf die jüdischen Wurzeln unseres Glaubens zurück. Es ist die unantastbare Würde des Menschen, die eigentlich keinen Spielraum im guten Umgang miteinander zulässt. Aber, alle wissen es, die Realität sieht leider oft anders aus.

Die heutige Kenntnis um die oben beschriebene Verfasstheit des Menschen fordert unser Bildungssystem heraus. In der Betrachtung dieses Themas habe ich mich auf die Ausführungen von Pater Zimmermann SJ gestützt, der mir mit seinem Booklet „Charakter zählt“ aus dem Herzen spricht und im Bereich der ignatianischen Pädagogik und HumanismusPlus engagiert ist.

Bildung braucht Raum für Ruhe, Spiel und selbstgesteuertes Lernen im sozialen Kontakt mit Gleichaltrigen.

In den vergangenen zwei Jahren der Pandemiebekämpfung wurden entscheidende Schwachpunkte dieses Systems deutlich. Angeblich zum Wohl der Kinder bestimmten „den Ton die sogenannten ‚Expertinnen‘ und ‚Experten‘. Pädagog*innen und die jungen Leute selbst kamen kaum zu Wort. Aufhänger der Debatten war gern der Schutz der Würde der Kinder. Dann aber drehte sich meistens blitzschnell wieder alles um die Würde der bildungspolitischen ‚heiligen Dreifaltigkeit‘, um Gewährleistung der Abschlüsse, die Leistungsfähigkeit des Schulsystems im internationalen Vergleich und um die Sicherstellung der Kinderbetreuung berufstätiger Eltern.“ Aber ist das Bildung? Oder ist das System mit Schule doch vielleicht eher Ausbildung, um fit für Beruf bzw. Studium zu werden? Die obige Aussage von Naina lässt eigentliche keinen Zweifel aufkommen.

In der immer komplexer werdenden Gesellschaft heute muss es um mehr gehen als reine Wissensvermittlung und reiner kognitiver Befähigungen. „Bildung, die mehr sein will als Ausbildung bedarf der Lebens- und Lernräume für Ruhe, Spiel und selbstgesteuertes Lernen im sozialen Kontakt mit Gleichaltrigen. Denn wer Bildung im Blick auf die ganze Person junger Menschen gestaltet, muss Kitas und Schulen als Orte konzipieren, in denen unterrichtet und gelebt wird. Für eine ganzheitliche Bildung sind Schultheater, Debattierclubs, Fächer der ‚Weltanschauung‘ wie Kunst, Philosophie oder Religion sowie Räume, die Jugendliche selbstverantwortlich gestalten wie die verbandliche Jugendarbeit, kein ‚Nice-to-have‘“- Wissen- und Kompetenzerwerb sind ein Teil von Schule, aber die technokratische Unterteilung des Kurrikulums in Kern- und Nebenfächer läuft in Zukunft ins Leere. Wundern darüber, dass junge Menschen die Schule verlassen und den Eindruck haben, nichts fürs Leben gelernt zu haben dürfen wir uns nicht. „Fazit: Schulbildung, die Kinder und Jugendliche nicht nur als Ressource für den Arbeitsmarkt betrachtet, muss Schulen als Lern- und Lebensräume gestalten, wo der Zwang zu lernen – frei nach Kant – immer, ausdrücklich und glaubwürdig der freien Selbstbildung junger Menschen als Person dient.“ In meiner eigenen Zeit als Schulseelsorger und Religionslehrer am katholischen St. Benno-Gymnasium in Dresden ist mir sehr deutlich geworden, dass Bildung nur mittelbar etwas mit den Inhalten zu tun hat als vielmehr mit den engagierten Pädagog:innen, die sich als Mensch und Person den Kindern und Jugendlichen gleichsam aussetzen, worüber der Unterricht nicht selten zu einem Beziehungsgeschehen wurde, der über Fachliches weit hinaus ging.

Gerade im Fach Religion ging es praktisch gar nicht anders. Inhalte, die natürlich auch zu lernen sind, werden über die Person des Lehrenden vermittelt und so als glaubwürdig und annehmbar verstanden, über die es sich lohnt nachzudenken. Auf diese Weise können sie in die Lebenswelt der Schüler:innen einfließen. Christlichen Glauben kann ich nicht unterrichten und lehren, aber Türen öffnen, um dafür empfänglich zu werden oder endgültig zuschmeißen, das geht in diesem Fach. Über die Tätigkeit an einer konfessionellen Schule wurde mir persönlich bewusst, dass es so etwas wie „Wertneutralität“ in der Bildung nicht gibt. Schule als neutralen Raum, in der jede Anschauung gleichberechtigt Platz haben soll ist meiner Meinung nach genauso eine Ideologie geworden wie die Inhalte des Einheitsschulsystems in der früheren DDR. Es braucht angesichts der vielen aufgekommenen populistischen Strömungen in unserer Gesellschaft wieder eine klare Werteorientierung.

Die Schule, der die Eltern ihre Kinder anvertrauen, muss für etwas stehen! „Haltung braucht Halt“. Deutlich gehört der Horizont, der die Frage nach Gott aufmacht, zu einer Bildung, die den ganzen Menschen im Blick hat. Wo dies gelingt, erhält auch die intellektuelle Auseinandersetzung mit aktuellen Herausforderungen wie der Digitalisierung eine größere Tiefenschärfe, als wenn sie nur ausgehend von funktionalistischen Perspektiven geschieht. So kann zum Beispiel die Prämisse der Gottesebenbildlichkeit mit ihren Auswirkungen eine Möglichkeit darstellen, um mit jungen Menschen darüber ins Gespräch zu kommen, was uns Menschen als vernünftige Wesen einzigartig und heilig macht. Aus dieser lebendigen Auseinandersetzung eröffnen sich dann verschiedene Zugänge der Reflexion darüber, was die Würde des Menschen sowohl als religiösen als auch verfassungspolitischen Ankerbegriff ausmacht mit wichtigen Erkenntnisperspektiven, um aktuelle Herausforderungen … zu begreifen und zu diskutieren. Denn die (oben beschriebene) ‚Gottesebenbildlichkeit‘ kann uns Demut im Umgang mit Technologie ebenso lehren, uns vor szientistischen Ermächtigungsfantasien bewahren, wie sie Menschen auch das nötige Selbstvertrauen geben kann, die großen Humanisierungspotentiale digitaler Entwicklungen zu nutzen – von der Armutsbekämpfung über die Heilung von Krankheiten bis zur Übernahme monotoner Tätigkeiten.“

Denn „in einer kulturell und weltanschaulich von Pluralität geprägten Gesellschaft sind also gerade keine Bildungskonzepte gefragt, die sich auf vermeintlich neutrales Terrain zurückziehen. HumanismusPlus plädiert dafür, Jugendlichen die vertiefte Auseinandersetzung mit reflektierten religiösen und weltanschaulichen Positionen zu ermöglichen. Nur so können sie vernünftige Standards zur eigenen Orientierung erwerben und lernen, die Vielfalt friedlich und konstruktiv zu kommunizieren.“

Bildung kreativ gestalten bedeutet nichts anderes als die jungen Menschen mit all ihren Talenten wahrzunehmen und vor allem wertzuschätzen. Dann werden sie sich auch in ihrer Würde als Person gesehen fühlen und in der Lage sein, sich ständig ändernden Herausforderungen im Leben zu stellen, die über die Kenntnis von Steuern, Miete und Versicherungen weit hinausgehen, wie Naina sich es als Lebensvorbereitung von Schule einmal gewünscht hat.