Kreativität ist die Zukunftskompetenz1+2= 12, 21 oder eben auch 3. Ob beim Erfinden, Probleme lösen oder Entdecken – Kreativität ist gefragt!

Text: Prof. Dr. mult. Wassilios E. Fthenakis (Zweitverwertung)

Bildungssysteme, die Kinder auf unsere wenig prognostizierbare Welt vorzubereiten haben, stehen vor der Herausforderung Kinder so zu stärken, dass sie ihre eigene Welt aktiv gestalten und mitverantworten, statt sie auf eine von den Erwachsenen erdachte Welt hin vorzubereiten. Die Debatte um Zukunftskompetenzen ist Welt umspannend, in vollem Gang und nicht abgeschlossen. Den Anlass dafür boten bedeutende Veränderungen, wie eine zunehmende Komplexität von Problemen, beispielsweise der Klimawandel, die globale Migration, die schnelle und umfassende Verbreitung von Information mittels des Internets, eine wachsende Verflechtung und Globalität unserer Beziehungen, vor allem aber die Auswirkungen der künstlichen Intelligenz auf allen Bereichen des Lebens, um hier einiges zu nennen. Herausforderungen dieser Art bedingen, dass Kinder Kompetenzen entwickeln, die weit über das hinausgehen, was das Bildungssystem mit den Grundkompetenzen Lesen, Schreiben und Rechnen bislang geboten hat.

Es liegen bereits Konzepte vor, wie man Evidenz basierend, Zukunftskompetenzen konzeptualisieren und im Bildungssystem implementieren kann. Lamb, Maire und Doecke haben einen Überblick vorgelegt und folgende Kompetenzen als Zukunftskompetenzen identifiziert: Kritisches Denken, Kreativität, Metakognition, Problemlösen, Kooperation, Motivation, Selbstwirksamkeit, Gewissenhaftigkeit, Mut und Ausdauer.

Diese zehn Kompetenzen wurden aus der Analyse etlicher Konzepte gewonnen, die in den USA, in Australien, in Kanada und anderen Ländern entwickelt wurden. Die Implementation dieser Konzepte haben die Autoren in mehreren Modellversuchen untersucht, die in Ontario und Alberta (Kanada), in Neuseeland, in Finnland und in Australien durchgeführt wurden. In diesem wie auch in weiteren Überblicken nimmt die Kreativität als Zukunftskompetenz einen prominenten Platz ein.

Die Europäische Kommission hat der Kreativität einen Beitrag gewidmet und sie als transversale Kompetenz ausgewiesen. In diesem Bericht wird auf der individuellen Ebene betont, dass Kreativität, Neugier und intellektuelle Unruhe, eine Toleranz für Unsicherheit, Risiko und Mehrdeutigkeit sowie die Anpassungsfähigkeit und Flexibilität Kompetenzen sind, die ein höheres Lernen, langfristige Beschäftigungschancen und soziale Mobilität begünstigen. Die Beschäftigung mit Kreativität in der Bildung ist zwar neu, sie hat jedoch eine über sechzigjährige Geschichte. Einer der ersten, der sich mit Kreativität befasst hatte, war Rohdes von dem das Rahmenwerk der vier P der Kreativität (Person, Product, Process and Press, letzteres im Sinne der Umwelt) stammt und die nachfolgenden Forscher stark beeinflusst hat.

Der Ursprung des Terminus „Kreativität“ geht ursprünglich auf das lateinische creare ((er)schaffen) zurück. Das Adjektiv kreativ ist eine Entlehnung aus dem Englischen creative, gegen Mitte des 19. Jahrhunderts, wie auch das Wort Kreativität, das im deutschsprachigen Gebiet seit der Nachkriegszeit Verwendung findet. Obwohl es eine Vielzahl von Arbeiten zur Kreativität gibt, liegt keine allgemein anerkannte Definition des Terminus vor. Das häufig verwendete Kriterium der Originalität konnte nicht akzeptiert werden, Stattdessen hat man mit den Begriffen Neuheit und Nützlichkeit gearbeitet. Guilford bezeichnete als kreativ „jede neue, noch nicht da gewesene, von wenigen Menschen gedachte und effektive Methode, ein Problem zu lösen beziehungsweise die Miteinbeziehung von Fakten wie Problemsensitivität, Ideenflüssigkeit, Flexibilität und Originalität“.

(…) In der Debatte um Kreativität wird eine Reihe von Fragen behandelt, die für Fachkräfte von eminenter Bedeutung sind.


WAS IST KREATIVITÄT?

Ist Kreativität eine Eigenschaft der Person? Ist sie das Produkt? oder der Prozess, der zu kreativen Leistungen führt? Man ist sich heute einig darüber, dass Kreativität keine primär individuell verankerte Kompetenz ist. Vielmehr wird sie sozial prozessiert. (…) Weitere Diskussionen fokussieren auf die Frage, ob Kreativität eine soziale „Situiertheit“ aufweist.

Während einige Forscher Kreativität in Zusammenhang mit wichtigen Dispositionen und damit verbundenen Fähigkeiten untermauern wie zum Beispiel Motivation, Risikobereitschaft, Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Ideen und die Fähigkeit, Mehrdeutigkeit zu tolerieren, betonen andere die Kontextabhängigkeit von Kreativität und unterstreichen dabei die Rolle des sozialen und kulturellen Umfeldes. Andere wiederum sehen in der Kreativität sowohl eine allgemeine als auch eine domänenspezifische Fähigkeit. Diese Diskussion ist in vollem Gange und es bedarf weiterer Forschung, um Klarheit darüber zu gewinnen.

Ein anderer für die Pädagogik bedeutsamer Aspekt betrifft die Frage, ob Kreativität eine Fähigkeit ist, die nur einer bestimmten Minderheit von Kindern vorenthalten bleibt. Bereits Vygotsky bemerkte, dass jedes Kind mit einem Potenzial für Kreativität ausgestattet sei. Kinder können auf einer kleinen persönlichen Skala, die für ihre Umgebung relevant ist, kreativ sein, Kreativität, die als „kleines C“ definiert wird, während das Potenzial für das „große C“ (Kreativität auf einer großen Skala) später in ihrer Entwicklung durch die Zusammenarbeit von Eltern und Fachkräften gefördert und verbessert werden kann. Es liegt hinreichende Forschungsevidenz dafür vor, wonach Kreativität bei jedem Kind gestärkt werden kann, wenn angemessene pädagogische und didaktische Bedingungen gegeben sind. Dies trifft auch auf Kinder mit besonderen Bedürfnissen zu. Gezielte Maßnahmen können die Kreativität des Kindes verbessern. Schließlich beschäftigt sich die Forschung mit der Frage, welchen Einfluss Kreativität mittel- und langfristig auf den schulischen Erfolg hat.

Generell ist Kreativität ein guter Prädiktor für zukünftige schulische Leistungen. Einschränkend muss erwähnt werden, dass die ermittelten Zusammenhänge korrelativer Natur sind, die eine kausale Beziehung zwischen Kreativität und Schulerfolg nicht begründen.

Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, dass die Untersuchung von Kreativität in der pädagogischen und psychologischen Forschung inzwischen fest etabliert ist. Auch in der Bildungspolitik wird deren Bedeutung anerkannt. Diesbezügliche Diskussionen und Maßnahmen sind jedoch widersprüchlich: Einerseits wird Kreativität als eine wichtige Kompetenz in den Bildungsplänen verankert, andererseits leitet die Politik Maßnahmen zur Standardisierung von Lernsituationen und deren Evaluation ein, was Kreativität hemmt.

 

Kreativität als Zukunftskompetenz

Lernumgebung wichtiger Aspekt 

Kinder müssen sich frei und sicher fühlen, um ihr kreatives Potenzial entfalten zu können. Fachkräfte sollten Lernumgebungen für den kindlichen Lernprozess wählen, die kreativen Erfolg begünstigen. Lernsituationen im Gruppenraum sollen den Forschergeist der Kinder stärken, die Kinder ermutigen Risiken einzugehen, Mehrdeutigkeit zu tolerieren, mehrere Lösungen für Probleme zu generieren und dabei die Methode der Ko-Konstruktion anwenden, um Aufgaben zu lösen.

Neben der Fachkraft spielt die Kultur der Einrichtung auf die zukünftige Kreativität der Kinder eine wichtige Rolle indem sie Fragen und Risikobereitschaft, kreative Einschätzungen, Neugier und Offenheit, Zusammenarbeit und Teamwork sowie Aktivitäten fördert, die das kreative Potenzial der Kinder hervorheben, wie beispielsweise Geschichtenerzählen und soziodramatisches Spiel. Die kreative Fachkraft ist entscheidend für die Entwicklung der kindlichen Kreativität. Fachkräfte müssen Multikulturalität, das Geschlecht und die Geschlechtsidentität sowie die psychologische, kognitive und physische Entwicklung des Kindes verstehen, um die unglaubliche Variabilität und Fähigkeit innerhalb jeder Gruppe erkennen zu können.

Weitere Strategien zur Stärkung von Kreativität konzentrieren sich auf die Familie und auf Lernorte außerhalb. Um die Kreativität in der Familie zu stärken ist eine Umgebung notwendig, die einen egalitären und gleichberechtigten Austausch von Ideen und Verhaltensweisen begünstigt. Obwohl es manche Kinder in restriktiven Umgebungen lernen kreativ zu sein, lernen die meisten Kinder am besten mit Unterstützung und Anleitung engagierter Eltern und Fachkräfte.

Lernaktivitäten im Kindergarten aber auch in der Schule bieten zahlreiche Möglichkeiten, um Kreativität zu stärken. Eine gute Grundlage dafür bietet der Bildungsplan. So unterscheidet beispielsweise der schwedische Bildungsplan nicht zwischen Spiel und Lernen, um die Kreativität im Kindergartenalter zu stärken. Kreativität ist Bestandteil aller Lernaktivitäten und wird mit positiven Emotionen verbunden. Spielen und Lernen stellen eine Einheit dar, die mehr Kreativität ermöglicht. Die Fachkraft sollte die Kinder herausfordern, ihre eigenen (kreativen) Gedanken zu äußern und anderen mitzuteilen, diese in einen Diskurs einbeziehen. Fachkräfte haben die Kinder darauf vorzubereiten, dass der Erfolg im kreativen Bereich oft lang andauern kann und sie ermutigen durchzuhalten.