Teamplayer vs. Einzelkämpfer

Unsere Gesellschaft ist auf der Suche nach mehr Gemeinsinn. Teamfähigkeit gehört als eine der wichtigsten sozialen Fähigkeiten zu den Schlüsselkompetenzen und ist auf dem Arbeitsmarkt besonders gefragt. Auch ganz unabhängig von der Berufswelt profitiert jede Gemeinschaft von Mitgliedern, die, trotz größtmöglicher individueller Freiheiten gute Teamplayer sind. Aber wann und vor allem wo fängt man an, sie zu trainieren?

32 °C im Schatten, die Luft über dem roten Sportplatz flirrt, als sich Anton mit letzter Kraft über die Ziellinie schleppt, hochrot im Gesicht, aber zutiefst zufrieden. Er ist zwar wieder mal Letzter, aber alle Klassenkameraden warten schon jubelnd auf ihn und gemeinsam ziehen die Kinder zur nächsten Station des Sportwettbewerbs: Weitsprung. Natürlich gratuliert Anton inmitten dieser quirligen Menge erst mal seinem Freund Ben, der wie immer Erster ist und 58 Sekunden vor ihm durchs Ziel schoss. Scham- und neidlos, denn dabei sein ist alles. … Zumindest in einer harmonischen Idealwelt. Teamfähigkeit gilt mittlerweile als eine der größten Tugenden. Wann und vor allem wo fängt man an sie zu trainieren? Je früher, desto besser! Der geschützte Raum der Kita oder des Klassenzimmers bietet viele Möglichkeiten, mit anderen in Interaktion zu treten. Zusammenarbeit im Team kann in unterschiedlichen Aufgabenstellungen und Unterrichtssituationen erfahren und geübt werden. Einzelkämpfer scheinen an Ansehen und Bedeutung zu verlieren. Das zeigt auch die Entscheidung des Ausschusses für die Bundesjugendspiele und der Kommission Sport (SpoKo) der Kultusministerkonferenz (KMK) vom März 2021.

Kein Wettkampf mehr bei den Bundesjugendspielen

Ab dem kommenden Schuljahr 2023/24 werden die Bundesjugendspiele in den Klassenstufen eins bis vier nicht mehr als Wettkampf, sondern als nicht normierter Wettbewerb veranstaltet. Bewegungs- und nicht konkurrenzorientiert, ohne vorgeschriebene Mindestleistungen, dafür als gemeinschaftliches Erleben. Im Mittelpunkt soll Fairness stehen. Ein Wettbewerb, der zu Bewegung und Mitfiebern einlädt und sich an den Bedürfnissen der jeweiligen Kinder ausrichtet – mit und ohne Einschränkung. Das oben gezeichnete Bild scheint aber trotzdem ein schwer erreichbares Ideal. Denn auch wenn die Bundesjugendspiele neu aufgestellt werden, bleibt vermutlich eine Art Wettkampfstimmung, ob man sich nun bundesweit vergleicht oder nur innerhalb der Schule. Vielleicht gehört es sogar ein bisschen zum „olympischen Gefühl“, sich im Sport messen und vergleichen zu können. Einer Disziplin, in der eventuell mal ganz andere die Lorbeeren ernten als in den üblichen Schulfächern. Für diese Kinder ein schönes Gefühl. Wichtigster Punkt sollte dabei allerdings sein, dass alle gemeinsam Spaß haben und sich im Sport verbunden fühlen. Ob Urkunden verteilt werden oder nicht, das könnte man den Kindern individuell freistellen.

Gemeinsamkeit und Teamplay lassen sich nicht nur im Sport erleben. Auch Partner- und Gruppenarbeiten im Unterricht können ein wichtiges Instrument sein, früh einzuüben, was zuhause vor allem in kleinen Familien schwerer möglich ist. Wer übernimmt welche Rolle? Wer schreibt mit, wer liest vor, wer hat welche Ideen, wer setzt sich durch und überzeugt? Wer taucht dabei ab und wen muss man möglicherweise aktiv integrieren? Eine wichtige Aufgabe vor allem im Ganztag, wenn die Kinder so viele Stunden miteinander verbringen. Pädagogen müssen hier genau hinsehen, anleiten und die Klasse als Team unterstützen.

Hier können auch Ausflüge, Gruppenund Einzelgespräche oder ein externes Sozialtraining unterstützen, in der Klasse ein Wir-Gefühl zu schaffen; ein Team zu bilden, in dem die Kinder sich als Gemeinschaft verstehen und sich aufgehoben fühlen. Teamplay findet auf allen Seiten der Schulfamilie statt. Auf Ebene der Schule gehören zum Team die unterschiedlichen Lehrkräfte, Fachlehrkräfte, externe Experten für Projektarbeiten wie Sport, Musik oder Theater, Verwaltungskräfte, Förderlehrer, Hausmeister oder Küchenpersonal – vielseitige Funktionen, an die sich die Kinder gewöhnen müssen.

In Finnland beispielsweise zählen auch Krankenschwestern und Psychologen zum Team, in den USA eigene Karriere-Coaches, die über Studiengänge und Berufsausbildungen aufklären. In wachsenden Klassenstärken mit zunehmend individuellen Bedürfnissen geht die Schere zwischen Schülern mit größerem und kleinerem Förderbedarf weit auseinander – sei es durch Kinder mit fehlenden oder geringen Deutschkenntnissen oder solche, deren Eltern sich gegen den Besuch einer Förderschule entschieden haben. Förderlehrer sind hier extrem wichtige Bausteine. Zusatzaufgaben, die Lehrkräfte dann an die Grenzen des Leistbaren bringen, wenn parallel die Bedürfnisse von Kindern mit Lernschwierigkeiten (und eigenen Lernplänen), Sprachbarrieren und sozialen Auffälligkeiten erfüllt werden wollen. Wenn dann noch zusätzlich ein Rädchen im Getriebe ausfällt und ein Teammitglied krankheitsbedingt ausfällt, gerät das Konstrukt ins Wanken. Hier wären Co-Lehrer ein Lösungsansatz – eine Funktion, die es in Ländern wie Kanada (assistant teacher) völlig selbstverständlich gibt und nun in Bayern zum Schuljahr 2023/24 auf Drängen der KEG Bayern eingeführt werden. Problem: Es fehlt an Geld für weitere Lehrkräfte und an Fachpersonal. Neue Planstellen müssen geschaffen werden und zum einen junge Menschen zum Lehramtsstudium motiviert, zum anderen Quereinsteiger für den Beruf begeistert werden.

Ohne Teams ist die moderne Arbeitswelt nicht vorstellbar

Schule ist Teil des Teams Gesellschaft und betrifft uns alle. Teamplay muss geschult werden, je früher, desto besser. Diplompsychologe Professor Dr. Florian Becker sieht Teams grundsätzlich im Trend. Für ihn haben sie eine zentrale Bedeutung in modernen Organisationen. Ohne sie sei die moderne Arbeitswelt nicht vorstellbar. Ohne sie wird die moderne Gesellschaft nicht mehr funktionieren. Wenn die Gemeinschaft auf allen Ebenen stimmt, wenn sich jeder abgeholt und aufgehoben fühlt, dann kann es vielleicht sogar sein, dass sich ein Anton und ein Ben, ein Letzter und ein Erster gemeinsam freuen.