Spannungsfeld Digital vs. AnalogHumans of KEG: Zwei Themen, zwei KEG-Mitglieder. Hier entsteht Zukunft

Die Digitalisierung ist rasant und hat sich zunehmend beschleunigt: 3D-Drucker stellen Maschinenteile her, Roboter bauen diese zusammen und neuen Chat-Programme schreiben Gedichte. Denn insbesondere Künstliche Intelligenz hat das Potential, Prozesse in Industrie, Schule und Wirtschaft grundlegend zu verändern. Unsere Welt befindet sich in einem disruptiven Prozess. Kommen unsere Schulen bei diesem Wandel mit?
Der digitale Wandel sorgt nicht nur für neue Produkte und Dienste, sondern verlangt auch nach neuen Antworten und Lösungen von unseren engagierten Pädagoginnen und Pädagogen: Themen wie eine intelligente Vernetzung, eine leistungsfähige Dateninfrastruktur und eine größtmögliche IT-Sicherheit in der Schule und in der Kita rücken in den Vordergrund. Digitale Souveränität und Nachhaltigkeit werden zu Leitmotiven einer deutschen und europäischen Digitalpolitik. Wohlstand und Lebensqualität wachsen, je engagierter wir die digitale Transformation in der Bildung gestalten. Doch wo bleiben da „analoge“ Werte und das Zwischenmenschliche? Unsere KEG-Mitglieder Gabriele Bleisteiner (Oberpfalz) und Andreas Fichtl (Oberbayern) haben sich unabhängig voneinander mit den gleichen Fragen zum Spannungsfeld digital vs. analog beschäftigt und gehen mit Ihnen auf eine interessante Reise.

Gabriele Bleisteiner

Fragen an:

Gabriele Bleisteiner

  • Referatsleitung Fachlehrer an allgemeinbildenden Schulen
Was bedeutet für Sie Digitalisierung in der Schule und Kita?

Digitalisierung ist Teil von Schule und Kita. Digitale Medien müssen in den Unterricht integriert werden und als Gestaltungschance gesehen werden. Es ist eine Kernaufgabe von Schule und Kita digitale Kompetenzen auf- bzw. auszubauen. Um eine ausreichende Kompetenz zu erreichen, braucht es laufend Praxis. Ich muss ständig wiederholen, üben. Jedoch ist die Lehrerpersönlichkeit immer noch die zentrale Figur. Digitalisierung allein macht keinen guten Unterricht.

Wo und wie wenden Sie Digitalisierung im Unterricht an und warum?

Ich versuche die natürliche Lust und damit die Motivation der Schüler auf digitale Medien sinnvoll zu nutzen und durch konkrete Anwendungen an zukünftige digitale Herausforderungen heranzuführen. Ich arbeite viel mit der Erstellung digitaler Lernprodukte durch Schüler wie Erklärvideos, Podcasts, Plakate, Handouts usw. Ich überlege mir auch, ist der Einsatz gerechtfertigt, um einen Mehrwert zu erreichen. Hilfreich sind folgende Programme und Werkzeuge: Mebis, TaskCard, Nextcloud, IPad, AirServer oder AppleTV. Meine Schüler werden im Unterricht so vorbereitet, dass sie auch zuhause in der Lage wären den Unterricht per Visavid zu verfolgen und Arbeitsaufträge umzusetzen sowie kollaborativ zusammenarbeiten.

Wie kann Digitalisierung den analogen Alltag in Schule und Kita unterstützen?

Ich bin ein sehr großer Fan von Erklärvideos, die von den Schülern erstellt werden. Dabei wird praktisches Tun von den Schülern digital festgehalten. Die Schüler kochen beispielsweise ein Gericht und fotografieren die einzelnen Arbeitsschritte. Anschließend erstellen sie in Keynote eine Präsentation und sprechen den Text ein. Dies wird zu einem Erklärvideo von ca. ein bis zwei Minuten Dauer umgewandelt. Die Dateien werden benannt und richtig Fragen an Gabi Bleisteiner gespeichert. Recherenachweise müssen angegeben werden. Fotos und Videos sind Dateiformate die Schüler motivieren, weil diese im Alltag bei der Smartphone Nutzung in vielfältiger Weise eingesetzt werden. Auf diese Weise erfolgt ein sinnvoller, lehrreicher Umgang. Ich habe hier viele Möglichkeiten des Feedbacks. Ich kann die Dateien weiterverarbeiten und verbessern. Die Schüler werden aktiv zum Gestalter.

Der dbb-Chef Silberbach fordert, die Verwaltung und die Infrastruktur der Schulen digital krisenfest aufzustellen. Wo sehen Sie Handlungsbedarf?

Wo Technik im Einsatz ist, kann diese versagen. Störungen beeinflussen einen reibungslosen Unterricht. Jeder Lehrer sollte in der Lage sein, kleine Probleme selbst zu beheben. Für das große Ganze braucht es dringend mehr Personal. Das muss extern gelöst werden. Das können wir Lehrer nebenbei nicht leisten. An jeder Schule muss ein Fachmann sein, der technische Mängel behebt, der für Datensicherheit sorgt usw. Voraussetzung ist, dass die IT-Ausstattung und Infrastruktur vorhanden ist wie beispielsweise schnelles Internet in jedem Raum, genügend digitale Endgeräte, die gewartet sind und mit Updates versehen werden

Glauben Sie, dass analoge Fertigkeiten und Kompetenzen die Grundlage für digitales Handeln sind?

Auf alle Fälle. Kinder unter zwölf Jahren können sollten nicht alleine mit digitalen Medien umgehen bzw. sich selbst überlassen sein. Unter Anleitung und Hilfestellung sollten wir sie dahinbringen, dass sie mit digtialen Medien produktiv umgehen können, Voraussetzung sind aber analoge Fertigkeiten. Lesen, Schreiben, Rechnen, Erzählen, sind Grundfertigkeiten, die werden vorwiegend analog erlernt werden. Schneiden, Falten, Musizieren, Sport treiben, richtige Ernährung usw. muss analog erfolgen. Das muss trainiert werden.

Wie wichtig sind „analoge“ Arbeitsweisen und Werte in der digitalen Welt? Welche sind für sie am wichtigsten?

Der respektvolle Umgang untereinander, die Wertschätzung gegenüber dem anderen ist Voraussetzung. Das kann ich nicht digital lernen. Mithilfe des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung soll jeder selbst darüber entscheiden können, welche personenbezogenen Daten er von sich preisgeben möchte und wer sie verwenden darf. Hilfreich ist eine offene Herangehensweise. Einfach ausprobieren, Fehler zulassen, nicht perfekt sein.

Wo greifen Sie im Unterricht auf Analoges zurück und warum?

Ich unterrichte praktische Fächer, da arbeite ich hauptsächlich analog. Hier wird viel mit den Sinnen gearbeitet. Einen Stoff oder Ton mit den Händen fühlen, geht nur analog. Lebensmittel zubereiten muss ich händisch machen. Esskultur erfolgt praktisch am Tisch. Bei mir entstehen praktische Arbeitsergebnisse, die mit den Händen erzeugt werden.

Welche Risiken sehen Sie in der Digitalisierung und in der analogen Welt?

Digitalisierung: Datenschutz, Umgang mit sensiblen Daten, Unreflektiertes Übernehmen von Meinungen aus dem Internet. Das verschärft sich nun mit den neuesten KI-ChatBot, ChatGPt. Analog: Man wird abgehängt, da vieles nur noch digital möglich ist. Die Zeit im Unterricht ist begrenzt. Es muss ein ausgewogenes Verhältnis zwischen analog und digital erfolgen.

Welche Future Skills braucht man Ihrer Meinung nach in Zukunft mehr: digitale oder analoge?

Beides. Das ist situationsabhängig. Ein Stift und ein Papier zur Hand zu haben ist immer nützlich. Eine Geschichte erzählen, Kommunizieren mit Sprache oder auch mit Gesten ist etwas Wunderbares. Digitales Arbeiten erleichtert das Vernetzen, Materialien teilen, ein schnelles Stimmungsbild einfangen. Unterstützt die Arbeit auch bei der Differenzierung. Aufgabe der Lehrer ist, seine Rolle ernst nehmen. Da muss ich mich mit beidem beschäftigen. Lehr- und Lernprozesse verändern sich. Ich habe meine Leistungsbewertung umgestellt. Erklärvideos oder Podcasts von Schülern fließen bei mir in die Leistungsbewertung mit ein. Lernen findet hier nicht mehr im Klassenzimmer statt, sondern überall, es wird mobil. Schüler sprechen einen Podcast in einer ruhigen Ecke im Schulgebäude ein, sie verlassen den Raum. Wichtig ist der Aufwand, muss im Verhältnis zum Nutzen stehen. Meiner Erfahrung nach kann man sich im Digitalen mehr verzetteln. Man sollte sich Zeiten setzen, in der man selber und auch die Schüler Aufgaben schaffen sollen. Konzentration auf das Wesentliche ist analog und digital unumgänglich.

Andreas Fichtl

Fragen an:
Andreas Fichtl

  • Mitglied im Arbeitskreis Lehrer im Bund
Was bedeutet für Sie Digitalisierung in der Schule und Kita?

Digitalisierung in der Schule hat mehrere Ebenen. Zum einen die rein technische, also Ausstattung mit Geräten, entsprechende Anbindung ans Internet usw.. Zum anderen hat Digitalisierung aber auch mit der konkreten Planung und Gestaltung von Unterricht zu tun. Welche Programme, Lernplattformen, Online-Formate etc. setze ich wie in meinem pädagogischen Handeln ein. Über allem aber steht die Frage: Wie mache ich meine Schüerinnen und Schüler fit für einen verantwortungsvollen Umgang mit den digitalen Möglichkeiten?

Wo und wie wenden Sie Digitalisierung im Unterricht an und warum?

Digitalisierung spielt für mich in erster Linie eine Rolle beim individuellen Üben von neu erarbeiteten Inhalten. Die Schüerinnen und Schüler haben hier die Chance, ihre eigenen Kompetenzen zu sichern und zu steigern. Bei Erarbeitung neuer Inhalte kommt es auf die jeweiligen Themen an. Nicht jedes ist für eine Erarbeitung im virtuellen Raum geeignet. Recherchen zu Sachthemen oder die Erstellung von Referaten sind Bereiche, die Schüerinnen und Schüler mit digitalen Formaten erfolgreich erarbeiten können.

Wie kann Digitalisierung den analogen Alltag in Schule und Kita unterstützen?

Digitalisierung kann zum einen bei routinemäßigen Verwaltungsaufgaben unterstützen, aber auch bei der Planung individualisierten Lernens. Dies kann einerseits durch die Nutzung entsprechender Lernprogramme geschehen, aber auch durch eine digital gestützte Analyse von Schülerarbeiten, die dann gezielte Förderhinweise erlaubt. Schüerinnen und Schüler erhalten außerdem eine sofortige Rückmeldung ihrer gezeigten Leistungen. Ebenso wird auch eine schnelle Fehleranalyse ermöglicht.

Der dbb-Chef Silberbach fordert, die Verwaltung und die Infrastruktur der Schulen digital krisenfest aufzustellen. Wo sehen Sie Handlungsbedarf?

In erster Linie sehe ich hier Handlungsbedarf bei der Schaffung stabiler und belastungsfähiger Netze und das nicht nur in Ballungsgebieten, sondern gerade auch auf dem sogenannten „flachen Land“. Hier bestehen nach meinem Erleben noch erhebliche Lücken. Ein zweiter, nicht minder wichtiger Punkt ist die Ausstattung von Schulen und Schüerinnen und Schüler mit funktionsfähigen digitalen Endgeräten. Aber auch die Entwicklung und Implementierung benutzerfreundlicher, stabiler Lern- und Kommunikationsplattformen sollte ganz weit oben auf der Agenda stehen. In den Schulen muss aber auch für ein entsprechendes IT-Personal gesorgt werden, das für die Wartung der Geräte verantwortlich ist. Außerdem steht noch die Frage nach der Letztentscheidungsverantwortung im Raum. Trifft der Mensch oder die Maschine die rechtlich verbindliche Entscheidung?

Glauben Sie, dass analoge Fertigkeiten und Kompetenzen die Grundlage für digitales Handeln sind?

Analoge Fertigkeiten und Kompetenzen im Lesen, Schreiben und Rechnen sind in meinen Augen eine unverzichtbare Grundlage, um sinn- und verantwortungsvoll digital handeln zu können. Nur wenn wir in der Lage sind, für Probleme eigene Lösungen zu finden und vorgeschlagene Lösungen zu bewerten, können wir verantwortungsvoll handeln. Wenn ich mir Texte nur noch vorlesen und von KI-gestützten Programmen erklären und bewerten lasse, bin ich irgendwann nicht mehr in der Lage, selbst zu denken und eigene, freie Entscheidungen zu treffen. Wir brauchen ein kritisches Hinterfragen der KI, das auch ethische Standards bei der Bewertung der Nützlichkeit und Anwendung digitaler Lösungen mit in den Blick nimmt.

Wie wichtig sind „analoge“ Arbeitsweisen und Werte in der digitalen Welt? Welche sind für sie am wichtigsten?

Im Verlaufe der Lockdowns, der für fast alle Schülerinnen und Schüler mit einer intensiven digitalen Beschulung verbunden war, ist immer mehr der Wunsch nach gemeinschaftlichem Unterricht vor Ort geäußert worden. Das gemeinsame Reden, Arbeiten, Spielen, Lachen wurden stark vermisst. Nach der Beendigung hat es sich gezeigt, wie wichtig der persönliche Kontakt ist, wenn es darum geht positive soziale Verhaltensweisen zu erlernen und einzuüben, oder auch mit Konfliktsituationen angemessen umzugehen. Zudem sind analoge Arbeitsweisen gerade auch dann sehr gewinnbringend, wenn von verschiedenen Personen unterschiedliche Lernwege beschritten und miteinander verglichen werden. Nur eine derartige Reflexion über Erkenntnisgewinnung auf individuellen Wegen in unterschiedlichen Themenbereichen ermöglicht den Transfer von Faktenwissen auf vielfältige Anwendungsgebiete. Dies kann nur über eine positive Fehlerkultur erreicht werden, die weiterführende Lernfortschritte erst möglich macht.

Wo greifen Sie im Unterricht auf Analoges zurück und warum?

Wenn es darum geht, sich neue Inhalte, neue Fähigkeiten und Fertigkeiten zu erarbeiten, komplexe Inhalte zu begreifen, ist die konkrete Begegnung mit den „Dingen“ unschlagbar, weil durch sie alle Sinneskanäle angesprochen werden und somit eine intensivere Begegnung ermöglichen. Nur das, was ich tatsächlich „begriffen“ habe, kann ich auch zielgerichtet anwenden, um Probleme zu lösen. Ein gutes Beispiel sind hier die Raumerfahrungen in Geometrie oder der Umgang mit Maßeinheiten.

Welche Risiken sehen Sie in der Digitalisierung und in der analogen Welt?

Eine ausschließlich auf virtuellen Begegnungen basierte Welt befördert nach meinem Dafürhalten eine zunehmende Reduktion der Personen auf sich selbst. Die eigenen Wünsche und Bedürfnisse treten in den Vordergrund und verlangen nach unmittelbarer Befriedigung. Geduld mit und im Blick auf die Mitmenschen verliert an Bedeutung und führt zu ungeduldigen, wenn nicht aggressiven Verhaltensmustern. Die Gefahr besteht, sich mit der schnellsten – oftmals einfachsten – angebotenen Lösung zufrieden zu geben, ohne mögliche bessere Alternativen überhaupt in Betracht zu ziehen. Lernwege werden dadurch obsolet, da nur noch das Ergebnis zählt, nicht aber der Weg der Erkenntnisgewinnung

Welche Future Skills braucht man Ihrer Meinung nach in Zukunft mehr: digitale oder analoge?

Ich denke, dass wir beides brauchen. Die analogen Skills haben dabei in meinen Augen eindeutig das Übergewicht. Sie tragen zu einer verantwortungsvollen sozialen Anwendung der eher technischen Skills bei. Diese werden sozusagen dem „Menschen“ in dienender Funktion zugeordnet und nicht umgekehrt.